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"Krise der Demokratie?" mit Prof. Dr. Harald Welzer

Die dritte Veranstaltung der Reihe „Krise der Demokratie?“ fand am Dienstag, 4. Juni 2019, statt. Trotz der kurzfristigen Vorverlegung auf 18 Uhr reichten die Räumlichkeiten der evangelischen Stadtakademie Bochum kaum für die große Zahl der interessierten Besucher_innen aus, die zum Vortrag von Prof. Dr. Harald Welzer gekommen waren. Der Publizist Welzer, der seit längerem zu den prominenten Befürworter_innen nachhaltiger Wirtschaftsformen und Lebensstile gehört, verfolgte an diesem Abend das Ziel, den Blick stärker auf Möglichkeitsräume resp. Utopien als auf die Defizite der Gegenwart zu lenken.

Dies bedeutete allerdings nicht, dass er auf Kritik an den aktuellen Verhältnissen verzichtete. Denn Welzer begann seinen Vortrag mit einem pointierten Überblick über einige wichtige Fehlentwicklungen. Neben dem weitreichenden Einfluss von Internetdienstleistern und -konzernen auf Konsumverhalten und normative Orientierungen thematisierte er auch den Bereich der Mobilität. Er stellte etwa die Frage, wie ein Historiker aus dem Jahr 2500 bei Forschungen zu unserer Zeit die Erfindung eines „Geländewagens für die Stadt“ oder das Phänomen von Kreuzfahrtreisen – „mobiler Plattenbauten auf den Meeren“ – einordnen würde. Angesichts der Bedrohung durch den Klimawandel könne ein solcher Historiker eigentlich nur von „fake news“ ausgehen.

Seine Kritik richtete Welzer zugleich aber auch auf die resignative oder von Dystopien geprägte Sicht auf die Zukunft, die sich häufig in aktuellen politischen und medialen Diskursen finde. Das zunehmende „Verschwinden“ eines „Zukunftshorizontes“ führe, so Welzer, zu dem Eindruck nicht mehr veränderbarer Zustände – und damit zu einer „Entmächtigung“, der man entgegentreten müsse.

Welzer skizzierte im zweiten Teil seines Vortrags drei Beispiele für Utopien: Zum einen die „autofreie Stadt“, für die andere Formen der „Raumüberwindung“ gefunden werden müssten, da der viel diskutierte Umstieg auf E-Mobilität für viele Probleme keine Lösung biete. Zum anderen die „80/20-Idee“, die darin bestehe, dass alle Bürger_innen 20 Prozent ihrer Arbeits- oder Ausbildungszeit bei voller Bezahlung für gemeinwohlorientiertes Engagement zur Verfügung haben. Als drittes Beispiel nannte Welzer zudem ein zwischenstaatliches Gewaltmonopol, das einen weiteren wichtigen Schritt im Zivilisationsprozess darstellte. Auch wenn dessen Realisierung besonders utopisch erscheine, sei es angesichts von Kriegen und globalen Fluchtbewegungen wichtig, diese Möglichkeit nicht per se auszuschließen.  

In der anschließenden Diskussion gab es deutliche Zustimmung, zum Teil aber auch kritische Nachfragen. So wurden die Ausführungen Welzers einerseits als positiver Impuls dafür gesehen, Begriffe wie Lebensqualität zu reflektieren und mit Inhalten jenseits der dominanten Wettbewerbslogik zu ‚füllen‘. Einige Besucher_innen merkten jedoch kritisch an, dass im Vortrag nur geringes Gewicht auf das „Wie“ der Umsetzung der skizzierten Zukunftsideen gelegt worden sei.

Welzer verwies daraufhin u.a. auf die Vielfalt an Initiativen, in denen sich bereits ein Umdenken im Sinne größerer Nachhaltigkeit widerspiegele. Neben Projekten von zivilgesellschaftlichen Akteur_innen (Urban Gardening, Tauschwirtschaft etc.) seien hier ebenso Wirtschaftsunternehmen wie der Otto-Konzern zu nennen, die sich mit den externalisierten Kosten ihrer Produkte auseinandersetzten und Nachhaltigkeitsstrategien entwickelten.
 
Er wollte, so Welzer abschließend, an diesem Abend keine „fertigen Rezepte“ liefern, sondern vor allem dafür plädieren, „die eigene Urteilsfähigkeit in Anspruch zu nehmen und sich politisch zu artikulieren“. In diesem Kontext nahm er auch auf den Titel der Vortragsreihe Bezug:  Aus seiner Sicht hätten wir in Deutschland keine krisenhafte, sondern eine stabile Demokratie, was zuletzt durch die Ergebnisse der Europawahl bestätigt worden sei.     

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